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Die Geschichte des Carl-Ramsauer-Preises

Der Carl-Ramsauer-Preis, ein Preis für herausragende Dissertationen im natur-wissenschaftlich-technischen Bereich, besitzt eine bewegte zweigeteilte Geschichte, ursprünglich gestiftet und vergeben von einem Konzern der deutschen Großindustrie (siehe Abschnitt C) und später weitergeführt von der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin (PGzB), einem eingetragenen gemeinnützigen Verein, der seine besondere Aufmerksamkeit dem wissenschaftlichen Nachwuchs und seiner beruflichen Zukunft widmet (siehe Abschnitt D). Der Wechsel, das heißt das Ende der Förderung und der Wertschätzung von jungen Doktorandinnen und Doktoranden und ihren Arbeiten durch die Industrie, vollzog sich während der Amtszeit des Autors als Vorsitzender der PGzB. Aus dem folgenden Lebenslauf in Abschnitt B wird ersichtlich, wie eng Carl Ramsauer sowohl mit der Industrie als auch mit der PGzB verbunden war. Er war der erste Direktor des AEG-Forschungslabors sowie Vorsitzender der PGzB als auch der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG).

Carl Ramsauer wurde 1879 in Oldenburg geboren, wo er das Alte Gymnasium besuchte. Er studierte Mathematik und Physik in München, Tübingen, Berlin und zuletzt in Kiel, wo er 1903 promovierte. Von 1902 bis 1906 arbeitete er am Kaiserlichen Torpedo-Laboratorium in Kiel und dann am Radiologischen Institut in Heidelberg, wo er sich 1909 habilitierte und 1915 zum Außerordentlichen Professor ernannt wurde. 1920 entdeckte er den in klassischer Sichtweise ungewöhnlichen Effekt, dass langsame Elektronen ein Gas besser als schnelle Elektronen durchdringen können, der als „Ramsauer-Effekt“ in die Physikgeschichte einging. 1921 wurde er zum Ordinarius für Experimentalphysik an die Technische Hochschule Danzig berufen und ging 1928 zur Gründung des zentralen AEG-Forschungslaboratoriums nach Berlin. Von 1940 bis 1945 war er Vorsitzender der DPG. Nachdem er ab 1931 bereits Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Berlin war, wurde er dort 1945 als Ordinarius berufen, wo er bis 1952 tätig war. 1949 war er Direktor des Physikalischen Instituts der Technischen Universität Berlin (TUB) und 1954 wurde er zum Ehrensenator der TUB ernannt. In den Jahren 1949 und 1950 war Carl Ramsauer der erste Vorsitzende der nach dem 2. Weltkrieg neugegründeten PGzB. Er verstarb 1955 im Alter von 75 Jahren in Berlin.

Die AEG als großes Industrieunternehmen hatte ihren Sitz und ihr Forschungszentrum in Berlin. Im April 1988 feierte das AEG-Forschungslabor seinen 60. Geburtstag – es war wie bereits im Abschnitt B erwähnt am 1. April 1928 gegründet worden. Anlässlich dieses Festaktes beschloss die AEG, jährlich einen Preis mit folgendem Ziel zu stiften:

„Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Übergänge von der Industrieforschung zur Institutsforschung und zurück bestehen, die den wissenschaftlichen Austausch zwischen unterschiedlichen Instituten ermöglichen. Um diese enge Verbundenheit mit der wissenschaftlichen Arbeit zu unterstreichen und um deutlich zu machen, daß in unserer Gesellschaft Leistung anerkannt werden muss, hat der Vorstand der AEG beschlossen...“.

Der Namensgeber für diesen Forschungspreis lag auf der Hand: Carl Ramsauer. Er war schließlich der erste Direktor des AEG-Forschungslabors. Mit dem Preis ausgezeichnet wurden je zwei junge Nachwuchswissenschaftler (aufgrund ihrer herausragenden Dissertationen) auf dem naturwissenschaftlich-technischem Fachgebiet der beiden Universitäten in Berlin-West, der Freien Universität Berlin (FUB) und der TUB. Somit wurden erstmals 1989 vier Preise, dotiert mit jeweils DM 10.000, vergeben. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung wurde auch die Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) mit einbezogen, so dass 1991 insgesamt 6 Preise für herausragende Dissertationen vergeben werden konnten. Die Auswahlkommission wurde vom AEG-Forschungslabor unter der Regie von Dr. Lehmann geleitet. Ihr gehörten die entsprechenden Fachvertreter der Universitäten an, z. B. der frühere Präsident der TUB, Prof. Kutzler. An der FUB gab es keine naturwissenschaftlich-technischen Fakultäten, so dass hier einzelne Professoren der Physik an der Auswahlkommission beteiligt waren (Professoren K.-H. Bennemann, W. Brewer und K.-H. Rieder). Neben der festlichen Preisverleihung richtete die AEG auch jeweils ein großes Abendessen mit den Preisträgern aus, welches die Kommunikation zwischen der Industrie- und der Universitätsforschung sehr förderte.

Mitte der 1990er Jahre ging der AEG-Konzern in die Daimler-Benz AG über. Von dort wurde die Preisausrichtung an ein Tochterunternehmen, der TEMIC Telefunken, in Nürnberg übergeben. Dieses Unternehmen teilte den drei Universitäten jedoch mit, dass es 1999 den Preis zum letzten Mal ausrichten wolle und danach keine weiteren Preise gestiftet werden könnten. Als Begründung wurde angegeben, dass sich die Geschäftsschwerpunkte des TEMIC-Konzerns geändert hätten. Über einen Zeitraum von 10 Jahren hatten sich seither junge Preisträger über die hohe Preisdotierung freuen können. Viel mehr ins Gewicht fiel aber, dass der Carl-Ramsauer-Preis inzwischen bereits ein beachtliches wissenschaftliches Renommee gewonnen hatte. Viele Preisträger aus diesen ersten 10 Jahren haben bis heute leitende Stellungen in der Industrie oder an Universitäten und Forschungseinrichtungen erhalten. Es war daher sehr bedauerlich, dass sich die deutsche Industrie aus dem Sponsoring für Nachwuchswissenschaftler in den Fachgebieten Physik, Chemie und Ingenieurwissenschaften zurückzog.

Dem Vorstand der PGzB gehören eine ganze Reihe von Professoren der Physik-Fachbereiche der drei Berliner Universitäten und der Universität Potsdam (UP) an. Einige von ihnen waren Mitglieder der früheren Auswahlkommission für den Carl-Ramsauer-Preis, andere waren Doktorväter von ehemaligen Preisträgern. Es ist daher nicht überraschend, dass die Entscheidung der TEMIC, den Preis nicht weiter zu verleihen, zu vielen Diskussionen führte. In der Tat wurden in den Jahren 2000 und 2001 keine Preise mehr verliehen. Besonders Prof. K.-H. Bennemann regt in diesem Zeitraum immer wieder an, dass die PGzB diesen Preis weiterführen sollte. Der Vorstand stand diesem Vorschlag positiv gegenüber, denn was kann man Besseres tun, als den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern und auszuzeichnen! Dies ist schließlich auch ein satzungsgemäßes Ziel und eine der wichtigen Aufgaben der PGzB. Um den Carl-Ramsauer-Preis durch die PGzB weiterführen zu können, waren jedoch verschiedene Hürden zu überwinden und Probleme zu klären:

• Die PGzB kann nicht einen so breiten thematischen Bereich abdecken, der die Chemie und alle Ingenieurwissenschaften einschließt. Dieser musste also eingegrenzt werden, z. B. auf die „Physik und angrenzende Gebiete“.

• Der Wirkungsbereich der PGzB schließt auch die Physik der Universität Potsdam (UP) mit ein, die also auch mit zu berücksichtigen wäre. Es bestand Einigkeit, dass man den Charakter des alten AEG-Preises beibehalten wollte, d. h. es sollten herausragende Promotionen von jeder Universität prämiert werden.

• Ein gemeinnütziger eingetragener Verein hat in der Regel nicht die finanziellen Mittel, um ein so hohes Preisgeld wie vormals die Industrie zu finanzieren. Diese und andere Gedanken führten zu dem Vorschlag, für jede Universität genau einen Preisträger auszuloben.

• Aufgrund der begrenzten finanziellen Ressourcen wurde der damalige Vorsitzende der PGzB (K. Baberschke) beauftragt, bei Industrie und Stiftungen nach Sponsoren zu suchen. Dieses fiel keineswegs negativ aus, jedoch hätte dann der Preis einen völlig anderen Charakter und Namen (nach Stifter/Stiftung) erhalten. Diese Idee wurde daher nicht weiter verfolgt.

• Die Veranstaltungen der PGzB finden in der Regel im Magnus-Haus statt. Die Tradition des Carl-Ramsauer-Preises war es aber, als Ort der Veranstaltung und als Gastgeber in wechselnder Reihenfolge die Universitäten zu wählen. Dieses sollte beibehalten werden.

Am 9. November 2001 schrieb der Vorsitzende der PGzB an die Präsidenten der vier Universitäten und bat, der Fortsetzung des Carl-Ramsauer-Preises prinzipiell zuzustimmen und diese Absicht nach Möglichkeit zu unterstützen. Dieser Vorschlag wurde von allen Universitäten positiv aufgenommen und so konnte schon 2002 der erste Carl-Ramsauer-Preis durch die PGzB verliehen werden, jetzt allerdings nur noch an jeweils einen Doktoranden der vier beteiligten Universitäten. Bemerkenswert ist, dass unter den Preisträgern bisher 11 Doktorandinnen zu verzeichnen sind. Man kann also nur hoffen, dass die Finanzierung dieses inzwischen nicht mehr wegzudenkenden Preises auch künftig gelingt.

K. Baberschke, im Dezember 2010