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Geschichte des Dissertationspreises der PGzB

Der Carl-Ramsauer-Preis wurde im Jahr 1988 von der AEG zum 60-jährigen Firmenjubiläums als „Carl-Ramsauer-Preis der AEG“ ins Leben gerufen und nach dem ersten Direktor des 1928 gegründeten AEG-Forschungsinstituts benannt. Es gab zu diesem Zeitpunkt keine Aufarbeitung der Geschichte des Unternehmens im Dritten Reich und Carl Ramsauer schien als bekannter Physiker und Leiter des AEG-Forschungsinstituts als Namensgeber prädestiniert zu sein. Ziel war es, die AEG-Forschung sichtbar zu machen und in Zusammenarbeit mit den Berliner Universitäten (ab 1990 auch mit der Humboldt Universität und der Universität Potsdam) einen Dissertationspreis für Physik und Technik zu verleihen. Nach der Übernahme der AEG durch Daimler-Benz und dem Auslaufen der Förderung im Jahr 1999 wurde ab 2002 der Dissertationspreis von der Physikalische Gesellschaft zu Berlin (PGzB) fortgeführt und dabei die Namensgebung „Carl-Ramsauer-Preis“ beibehalten. Die PGzB hat den Carl-Ramsauer-Preis für hervorragende Dissertationen von 2002 bis 2023 an den drei Berliner Universitäten und der Universität Potsdam verliehen.

Im Kontext der Aufarbeitung der NS-Geschichte wissenschaftlicher Gesellschaften wurde in jüngster Zeit von Wissenschaftshistorikern die Namensgebung kritisch bewertet. Die PGzB hat daher im Jahr 2022 beschlossen, sich mit der historischen Rolle von Carl Ramsauer kritisch auseinanderzusetzen und Gutachten einzuholen. Auf der Basis dieser Gutachten und Beiträgen von Wissenschaftshistorikern, die bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung Anfang 2024 erörtert wurden, sind eine Reihe neuer Erkenntnisse zu Carl Ramsauer aufgetaucht, die bislang nicht oder kaum bekannt waren [1]. Diese Erkenntnisse zeichnen ein deutlich kritischeres Bild von Carl Ramsauer und betreffen neben der Rolle Ramsauers als Industriephysiker und Rüstungsforscher, frühe antisemitische Äußerungen, sein Handeln als wissenschaftspolitischer Amtsträger in Dritten Reich, sowie seine „Selbststilisierung“ nach 1945. Vor diesem Hintergrund hat die PGzB die historischen Rolle von Carl Ramsauer und seine Bedeutung als Namensgeber für den Dissertationspreis neu bewertet, und verleiht den Preis ab dem Jahr 2024 als „Dissertationspreis der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin“ [1].

[1] Archiv der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Signatur 10702:
      Helmut Maier, Gutachten über die historischen Rolle von Carl Ramsauer, p 1-15 (2023)
      Stefan L. Wolff, Ergänzungen zur Biographie von Carl Ramsauer (1879-1955), p 1-159 (2024)
      Protokoll der außerordentlichen PGzB Vorstandssitzung am 23. Mai 2024.

Carl Ramsauer promovierte 1903 an der Universität Kiel, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Torpedo-Laboratorium in Kiel und bei Philipp Lenard an der Universität Heidelberg und wurde 1915 außerordentlicher Professor in Heidelberg. Dort entdeckte er 1919 bei der Transmission von Elektronen durch Edelgase ein Maximum bei kleinen Energien, welches im Rahmen der klassischen Physik nicht zu erwarten war, da es auf der Wellennatur der Elektronen basiert. Der „Ramsauer-Effekt“ war ein früher experimenteller Nachweis der Wellennatur des Elektrons, hat allerdings nicht direkt zur Entstehung der Quantenmechanik geführt. Die theoretischen Betrachtungen von Louis de Broglie entstanden unabhängig von Ramsauers experimentellen Ergebnissen und erklärten diese erst im Nachgang. Carl Ramsauer wurde 1921 zum ordentlichen Professor an die Technische Hochschule Danzig ernannt.

Ramsauer war ein hervorragender Experimental- und Industriephysiker, der moderne Entwicklungen hin zu elektronischen Messverfahren vorangetrieben hat. Er verfolgte früh militärisch relevante Forschungsthemen, kooperierte eng mit dem Heereswaffenamt und war als Leiter des AEG-Forschungsinstituts an der Entwicklung kriegswichtiger Waffensysteme beteiligt. Carl Ramsauer tat sich aber wiederholt durch antisemitische und rassenideologische Äußerungen hervor [1]. Als DPG-Vorsitzender ab 1940 hob er die „Schlüsselstellung der Physik für … Rüstung“ hervor und setzte er sich für die „Mobilisierung der letzten Reserven“ für die Rüstungsforschung ein [2], etwa 1943 bei einem Treffen mit Joseph Goebbels [1]. Nach 1945 beharrte Carl Ramsauer darauf, nicht mit dem NS-Staat kooperiert zu haben, sondern behauptete, sich als Kämpfer gegen die „Parteiphysik“ in die Gefahr gebracht zu haben, selbst Opfer zu werden [3]. Diese Aspekte der Biographie von Carl Ramsauer wurden bislang kaum dokumentiert [4].

[1] Archiv der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Signatur 10702: 
      Helmut Maier, Gutachten über die historischen Rolle von Carl Ramsauer, p 1-15 (2023)
      Stefan L. Wolff, Ergänzungen zur Biographie von Carl Ramsauer (1879-1955), p 1-159 (2024)
      Protokoll der außerordentlichen PGzB Vorstandssitzung am 23. Mai 2024.

[2] Dieter Hoffmann, Die Ramsauer-Ärea und die Selbstmobiliserung der deutschen Physikalischen Gesellschaft,
     in D. Hoffmann und M. Walker, Physiker zwischen Autonomie und Anpassung, Wiley-VCH (2007).

[3] Carl Ramsauer, Zur Geschichte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in der Hitlerzeit,
     Physikalische Blätter 3 (1947), p. 110-114.
     Michael Eckert, Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die „Deutsche Physik“, in
     D. Hoffmann und M. Walker, Physiker zwischen Autonomie und Anpassung, Wiley-VCH (2007),
     korrigierte Version 9.Juli 2024.

[4] siehe de.wikipedia.org/wiki/Carl_Ramsauer, Stand 9.7.2024.